Holocaust-Gedenktag mit der Ausstellung „Menschen-Steine-Migrationen“

Der Nachbericht zum Gedenktag in der Vier-Täler-Stadt.

Kranzniederlegung an der Gedenkstele. Quelle: Stadt Plettenberg

„Wir dachten, dass dieser Gedenktag ausreicht, damit sich Geschichte nicht wiederholt und dass stärkere Zeichen nicht notwendig sind.“

Dieser Satz stammt aus der Rede des stellvertretenden ehrenamtlichen Bürgermeisters Dirk Finder, der den erkrankten Bürgermeister Ulrich Schulte an diesem wichtigen Gedenktag dankenswerterweise vertrat. Die Hintergründe zu diesem Satz sind uns alle bekannt: Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf den Staat Israel und das Treffen von Rechtsextremen, Politikern und Unternehmern, in dem das Thema „Remigration“ eigentlich „Deportationen“ von in diesem Kreis unerwünschten Bevölkerungsteilen meinte.

„Vor 82 Jahren, im Januar 1942, gab es schon einmal eine derartige Zusammenkunft. Die sogenannte Wannsee-Konferenz. Zufall? Wir müssen Aufwachen! Dieses Gedankengut und diese Vorgehensweise sind genau der Grund, warum wir heute hier
auf diesem Friedhof stehen.“, heißt es in der Rede weiter. Und weiter: „Ich bin froh, dass derzeit viele Menschen auf die Straßen gehen und zeigen, dass sie gegen Rassismus und Antisemitismus sind. Das setzt ein Zeichen.“ Als zweite Rednerin auf dem jüdischen Friedhof beeindruckte Stefanie Schilling vom Verein „Christen an der Seite Israels“. Sie las unter anderem aus Berichten über den Angriff der Hamas auf ein Kibbuz (das ist eine ländliche Kollektivsiedlung) in Israel, bei dem Menschen gefoltert und brutal getötet wurden. Durch ihren gesamten Beitrag zog sich das wichtige Motto „Nie wieder ist jetzt“, dass auch die aktuellen Demonstrationen gegen Rechts begleitet.

Das Plettenberger Stadtarchiv um Archivar Daniel Brandes hatte erneut den Holocaust-Gedenktag vorbereitet. Nicht nur auf dem jüdischen Friedhof, sondern auch das weitere Programm im Ratssaal des Rathauses. Dazu gehörte auch wieder die Kooperation mit Schülerinnen und Schülern des Albert-Schweitzer-Gymnasiums (ASG). Diese vermittelten in ihren Reden anhand von ausgesuchten Biografien, wie das jüdische Leben in Plettenberg zur Zeit des NS-Regimes aussah und welchen
Herausforderungen und Repressionen sie ausgesetzt waren. Zudem konnten die Anwesenden ein beeindruckendes und bedrückendes Video ansehen, das ASG-Schülerinnen und –Schüler während einer Reise zum Konzentrationslager Auschwitz
erstellt hatten. Wichtig war und ist Daniel Brandes auch die Ausstellung, die noch bis zum 02. Februar zu den allgemeinen Öffnungszeiten des Rathauses zu besichtigen ist: „Menschen-Steine-Migration“ des Jüdischen Museums Westfalens zeigt 120 Jahre jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Ursprüngen jüdische Geschichte in unserer Heimat, über das dunkle Kapitel des Dritten Reiches, dessen wir uns heute erinnert haben, bis hin in die Zeit nach 1945, eine neue Epoche jüdischen Lebens, die bis heute reicht. „Mir war es ein Anliegen, das Judentum nicht nur im Kontext der Shoa zu betrachten und jüdisches Leben nicht nur als Abfolge von Vertreibung und Verfolgung darzustellen, sondern auch das „davor“ und „danach“ zu zeigen.“, erklärt Daniel Brandes.

Die Ausstellung beleuchtet Wege der Veränderung jüdischen Lebens in unserer Region. Wo liegen die Wurzeln der Juden in diesem Bundesland? Wie entwickelte es sich nach 1945? Welchen Einfluss hatten die Zuwanderungsbewegungen? Wie zeigt sich das jüdische Leben in der Öffentlichkeit und in den Medien? Und was ist eigentlich Makkabi? In sieben farblich untergliederten Themenbereich werden diese und weitere Fragen beantwortet. Wir können allen Menschen in der Vier-Täler-Stadt nur empfehlen, sich diese Wanderausstellung anzusehen. Auch als Motivation, sich mit dem jüdischen Leben vor allem in unserer Region heute zu befassen, vielleicht sogar aktiv danach zu suchen. Erwähnenswert ist zudem, dass an dieser Gedenkveranstaltung Vertreterinnen und Vertreter verschiedenster Glaubensrichtungen teilnahmen. Christen, Muslime und Juden Seite an Seite.

Die Stadt Plettenberg bedankt sich bei allen Mitwirkenden und Teilnehmenden. Nie wieder ist jetzt! Die Rede zum Holocaust-Gedenktag im Wortlaut:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, dass Sie wieder so zahlreich hier zum jüdischen Friedhof gekommen sind und begrüße Sie herzlich zur diesjährigen Veranstaltung anlässlich des Holocaust-Gedenktages. Ganz besonders freue ich mich, dass wir wieder
Schülerinnen und Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums unter uns haben, die nicht nur interessehalber dieser Gedenkstunde beiwohnen, sondern im Anschluss im Ratssaal einen aktiven Teil des heutigen Tages übernehmen.
Dafür jetzt schon mal meinen herzlichen Dank.

Vielen Dank auch an das Team vom Stadtarchiv, dass diese Veranstaltung wieder vorbereitet hat und an Frau Schilling vom Verein „Christen an der Seite Israels", die heute auch wieder einen Teil der Veranstaltung mitgestaltet. Der Holocaust-Gedenktag geht zurück auf die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 und wird seit 2006 weltweit begangen. In den letzten Jahren haben wir uns hier getroffen, um der Opfer des Holocaust zu gedenken und Blumen niederzulegen. Wir haben dies in der Hoffnung getan, dass sich solch ein Gräuel wie der Holocaust niemals wiederholen wird. Wir haben hier an diesem Tag im Jahr ein Zeichen gesetzt, in der Hoffnung, dass dies auf
andere Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Wirkung hat. Die Hoffnung, dass unser jährliches Treffen hier, die Zahl derer, die genauso denken, konstant hält und dass die Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ebenfalls daran glaubt, dass sich ein Holocaust nicht wiederholen darf. Wir dachten, dass dieser Gedenktag ausreicht, damit sich Geschichte nicht wiederholt und dass stärkere Zeichen nicht notwendig sind.

Ein bisschen haben wir uns damit wie ein kleines Kind verhalten, dass aus dem dunklen Keller etwas holen soll und deswegen Angst hat. Deshalb singt oder pfeift es, wenn es die Treppe hinuntergeht. Dabei ist ihm bewusst, dass das Singen und Pfeifen eine tatsächliche Gefahr nicht bannen würde, aber es gibt ihm zumindest ein gutes Gefühl. Genauso reichte auch uns das gute Gefühl. In diesem Jahr müssen wir erkennen, dass sich die Welt um uns herum trotz unseres jährlichen Gedenkens verändert hat. Dass das gute Gefühl, unser Singen und Pfeifen im dunklen Keller, nicht ausgereicht haben, um wieder ein Gedankengut aufkommen zu lassen, das erneut Gräueltaten gegen die jüdische Bevölkerung oder andere
Minderheiten für gerechtfertigt hält. Im Oktober des letzten Jahres hat die Terrororganisation Hamas gezielt die israelische Grenze überschritten und über 1.130 friedlich lebende und feiernde Menschen getötet, 5.400 Menschen verletzt und zugleich fast 240 Menschen verschleppt. Dies war nicht nur ein beispielloser Terrorakt, es war der größte Massenmord an Juden seit dem Holocaust.

Dieser Terroranschlag entsprang nicht einem spontanen Gedanken oder war ein Racheakt. Es ist die Umsetzung der eigenen Doktrin, den Staat Israel zu vernichten. Israel hat auf diesen Terrorakt verständlicherweise mit Gewalt reagiert. Seitdem ist in Gaza viel Leid passiert. Es ist verständlich und richtig, wenn international Feuerpausen und humanitäre Hilfe gefordert werden. Demonstrationen und Kundgebungen für einen gemeinsamen Frieden im Nahen Osten sind nachvollziehbar und sollten unterstützt werden. Statt für den Frieden sah man aber in unseren Straßen Plakate gegen Israel. Nicht nur, dass Israel die Schuld für diesen Terroranschlag gegeben wurde. Längst totgeglaubte Wahnvorstellungen von der jüdischen Weltverschwörung wurden wieder ausgegraben. Das Opfer wurde zum Täter stilisiert, um den eigenen Hass auf alles Jüdische ausleben zu können.

Eigentlich dachten wir, dass wir dieses Denken überwunden haben, aber es hat nur still und heimlich irgendwo geschlummert und ist nun offen zu Tage getreten. So wie eine Wüstenpflanze jahrelang verdorrt im Boden schlummert und beim ersten Regen plötzlich wächst, gedeiht und sich vermehrt. Geschichte wiederholt sich, vermeintlich friedliebende Mitbürgerinnen und Mitbürger haben einen Grund gefunden, ihrem Judenhass freien Lauf zu lassen. Diese Erkenntnis hat mich sehr erschrocken, aber noch viel mehr war ich durch die Enthüllungen des Magazins Correctiv betroffen. Hier wurde bekannt, dass sich in Deutschland Rechtsextreme, Politiker und Unternehmer getroffen haben, um über die Ausweisung von Millionen Menschen zu sprechen, die nicht ihrem eigenen Bild von der deutschen Gesellschaft entsprechen. Ein Plan, der eine Regierung ermächtigen soll, darüber zu entscheiden, wer hier leben darf und wer nicht. Dies wurde mit dem Begriff „Remigration" umschrieben, bedeutet aber im Endeffekt, Männer, Frauen und Kinder gegen ihren Willen aus Deutschland zu deportieren. Vor 82 Jahren, im Januar 1942 gab es schon einmal eine derartige Zusammenkunft. Die sogenannte Wannsee
Konferenz. Zufall? Wir müssen Aufwachen!

Dieses Gedankengut und diese Vorgehensweise sind genau der Grund, warum wir heute hier auf diesem Friedhof stehen. Dies ist der Anfang einer Entwicklung, die in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zu Massenmord, Krieg und Vertreibung
geführt haben. Das darf nicht wieder geschehen und wir müssen erkennen, dass es heute nicht mehr ausreicht, im Keller zu singen und zu pfeifen. Wir müssen aktiv werden, wir müssen laut werden, wir müssen öffentlich zeigen, dass wir dieses Denken nicht tolerieren. Nicht nur einmal im Jahr in aller Stille hier am Holocaust-Gedenktag, sondern jeden Tag. Wir müssen dem rechten Gedankengut entgegentreten. Dumme Sprüche und Parolen dürfen nicht mehr ignoriert werden, wir müssen auf der Straße, im Supermarkt und in sozialen Netzwerken ganz klar eine Gegenposition einnehmen. Der rechte Rand unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren stetig vorwärtsbewegt. Stück für Stück wurden verbale Entgleisungen hoffähig gemacht und wir sind immer zurückgewichen, haben bagatellisiert und beschwichtigt, wollten keinen Ärger haben. Nun steht die AfD kurz davor, mit dem Faschisten Björn Höcke einen Ministerpräsidenten in Thüringen zu stellen. In Thüringen liegt unsere schöne Partnerstadt Schleusingen und mir graut es schon davor, was die Menschen dort erwartet.

Unsere Eltern und Großeltern haben den Moment verpasst, dem rechten Gedankengut rechtzeitig die Stirn zu bieten und befanden sich 1933 plötzlich in einem von Nationalsozialisten dominierten Deutschland wieder. Das darf uns nicht passieren, wir
müssen zeigen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Ich bin froh, dass derzeit viele Menschen auf die Straßen gehen und zeigen, dass sie gegen Rassismus und Antisemitismus sind. Das setzt ein Zeichen. Es zeigt, dass die bisher schweigende Mehrheit bereit ist, sich für eine bunte und offene Gesellschaft zu engagieren. Diesen Weg müssen wir weiterverfolgen. Die Einstellung aus den Demonstrationen müssen wir auch in unser tägliches Leben übernehmen. Gehen sie vor allen Dingen auch wählen. Auch wenn Sie unsere Regierung und die etablierten demokratischen Parteien für unfähig halten. Nicht-Wählen stärkt die Extremisten und bei einer Alternativen Wahl kann aus einem vermeintlichen Denkzettel schnell eine Katastrophe werden.

Ich möchte meine Rede heute mit einem kleinen Gedicht von Simon Pearce beenden, das die Inhalte noch mal gut zusammenfasst:
Bei Hitlers brennt noch Licht
Es ist nie ganz erloschen,
nur eine kurze, ruhige Zeit war's Fenster fest verschlossen.
Nur ab und zu, ganz schüchtern fast, kaum hörbar, ein Gewisper...
Man nahm's kaum wahr und dachte sich: „Was soll's? Da ist noch Licht an."
Bei Hitlers brennt noch Licht - Jetzt treten sie ans Fenster.
Jetzt sieht man sie, jetzt hört man sie ... das sind keine Gespenster.
Ganz stolz und lautstark steh'n sie da, entzünden und krakeelen.
Und ihre Drohung ist ganz klar: „WIR GEHEN WIEDER WÄHLEN!"
Bei Hitlers brennt noch Licht.
Vernunft wo bist Du? Wo?
Komm' raus und hilf ... und schalt' es aus.
... sonst brennt es lichterloh.“