Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank, dass Sie heute zum jüdischen Friedhof gekommen sind, um der Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes zu gedenken.
Einen herzlichen Dank vorab auch an Frau Schilling, die die Veranstaltung wieder unterstützt und anschließend noch ein paar Worte sagen wird.
Herzlichen Dank auch an Tanja Böhne, die seit Wochen alleine im Stadtarchiv tätig ist und sich trotzdem so gut um die Vorbereitung dieser Gedenkveranstaltung gekümmert hat.
Leider klappt es in diesem Jahr nicht, dass wir anschließend eine Lesung oder Ausstellung mit Plettenberger Schülerinnen und Schülern durchführen. Es bleibt einzig bei dieser Gedenkveranstaltung auf dem jüdischen Friedhof. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, diese Veranstaltung durchzuführen. Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen vielleicht wichtiger denn je.
Wir führen diese Gedenkveranstaltung heute, am 27. Januar, durch, weil vor genau 80 Jahren, am 27.01.1945, das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von der russischen Armee befreit wurde.
Dies ist kein Jubeltag, wir feiern nicht die Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz, wir gedenken dieser Befreiung. Deshalb hängen vor dem Rathaus auch die Fahnen auf Halbmast. Es geht nämlich nicht um diesen einen Tag, der das Ende des Leids für viele dort inhaftierten Menschen bedeutete, es geht vorrangig um die Zeit bis zu diesem Tag. Die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar ist nur ein Symbol, um ein festes Datum zu haben. Es geht aber in diesem Gedenken um die Ungerechtigkeit und das Leid, das vorher so vielen Menschen widerfahren ist. Den Juden, den politisch Andersdenken, den Sinti und Roma und allen anderen, die in den Augen des Nazi-Regimes in Ungnade gefallen waren, eine vermeintliche Bedrohung darstellten oder einfach nicht wert waren, im Deutschen Reich zu leben.
Wir gedenken heute mit einer erfreulich großen Gruppe des Holocaust, aber es gibt in unserer Gesellschaft auch jene, die den Holocaust leugnen. Dazwischen ist die große Masse derjenigen, die mit der deutschen Vergangenheit nichts zu tun haben wollen. Die ein Mahnen und Gedenken nicht zukunftsgerichtet sehen, um eine Wiederholung zu vermeiden, sondern gleichsetzen mit einem persönlichen Schuldeingeständnis. Da sie sich aber für Verbrechen früherer Generationen nicht schuldig fühlen, ignorieren sie auch solche Gedenkveranstaltungen. Für diese Menschen ist die Aussage „es gibt keinen Grund sich schuldig zu fühlen, denn der Holocaust ist eine Erfindung der Siegermächte“ verlockend. Es ist quasi eine Fluchttür aus ihrer eigenen moralischen Gefängniszelle.
Diese Aussagen finden sich nicht mehr nur an Stammtischen oder in Hinterzimmern. Sie werden mehr und mehr öffentlich. Prominentestes Beispiel ist der Multimilliardär Elon Musk, der sich per Videoleinwand auf den AfD-Parteitag in Halle an der Saale zuschalten ließ. Er beklagte, dass wir Deutschen zu sehr den Fokus auf die Vergangenheit legen würden. Wir sollten dies hinter uns lassen und stolz darauf sein, Deutsche zu sein.
Herr Musk kritisiert also sehr deutlich genau das, was wir hier gerade machen. Gut, dass ich nichts auf die Aussagen von Herrn Musk gebe. Er soll ruhig weiter Elektroautos bauen, sich aber aus der Politik in Deutschland heraushalten.
Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Stolz auf ein weltoffenes, rechtsstaatliches Deutschland, in dem Menschen vieler Kulturen zusammenleben und in dem nicht einige fürchten müssen, aufgrund ihrer Religion, Herkunft, sexueller oder politischer Ausrichtung Nachteilen ausgesetzt zu sein oder am Ende wieder in Konzentrationslagern zu landen. Damit dies nicht passiert, braucht es gerade ein Erinnern und kein Vergessen.
Ich war im vergangen Jahr mit einigen anderen Bürgermeistern aus dem Märkischen Kreis zu Besuch bei unserem Partnerkreis Ratibor in Polen. Auf unserem Programm stand an einem der Tage auch der Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz. Dies war ein sehr ergreifender Besuch, meine Damen und Herren.
Es ist eine Sache, sich mit der deutschen Geschichte zu beschäftigen und über die Gräueltaten der Nazizeit zu lesen. Zahlen über Todesopfer und geschriebene Worte geben aber nicht das Grauen wieder, das man erlebt, wenn man Auschwitz direkt besucht. Man sollte dies direkt erlebt haben.
Das Grauen baut sich dort in Kaskaden auf. Man erlebt zunächst die vielen Backsteingebäude und erkennt die Dimension dieses Lagers. Dann werden Zahlen genannt, wie viele Menschen in einem Raum leben mussten, wie viele Menschen gemeinsam die dortigen sanitären Anlagen nutzen mussten und man erkennt die miserablen Lebensumstände der damaligen Inhaftierten. Schließlich sieht man die unzähligen Schuhe, Koffer oder sonstigen Gegenstände, die abgegeben werden mussten, und man erkennt die Endgültigkeit der Deportation nach Auschwitz. Am Ende dann die Berge von abgeschnittenen Haaren, die Verhörräume, die Zellen, der Hof für die Hinrichtungen. Alles begleitet von den Erzählungen der deutschsprachigen Museumsführerin.
Auschwitz II, das Vernichtungslager Birkenau, übertrifft diese schlimmen Eindrücke allein aufgrund seiner Größe und weil die Menschen hier nicht mehr in festen Gebäuden, sondern in Baracken hausen mussten. Man steht an den Gleisen, betrachtet den dort abgestellten Waggon und hat auf einmal das beklemmende Gefühl, selbst gleich aussortiert oder von Familienmitgliedern getrennt zu werden, so wie es die Fotos zeigen.
Auf der Rückfahrt waren wir alle sehr still.
Diese Dinge kann man als einzelner Mensch nicht einfach vergessen und wir sollten sie als deutsche Gesellschaft auch nicht vergessen. Das ist nichts, was man mit den Worten von Elon Musk hinter sich lassen sollte. Wenn wir es vergessen, laufen wir Gefahr, diesen Fehler nochmals zu begehen. Vielleicht nicht mit Juden, aber dann mit anderen Menschen, denen wir absprechen, nicht zu unserer Gesellschaft zu gehören.
Es ist daher unsere Aufgabe zu vermitteln, dass es bei solchen Gedenkveranstaltungen wie am heutigen Tag nicht um persönliche Buße oder Schuldzuweisungen geht, sondern um ein Nicht-Vergessen, um einen Blick in die Vergangenheit, damit sich solche Ereignisse zukünftig nicht wiederholen.
Laut einer aktuellen Studie wissen 40 Prozent der Jugendlichen in Deutschland nicht genau, wie viele Juden während des Naziregimes getötet wurden. Etwa jeder Zehnte kennt nicht die Begriffe Holocaust oder Schoa. Das ist meines Erachtens erschreckend. Sicherlich dem geschuldet, dass – wenn man im Geschichtsunterricht in der Schule bei der Steinzeit anfängt – die Schulausbildung häufig schon beendet ist, bevor man zum Zweiten Weltkrieg kommt. Umso wichtiger ist es meines Erachtens, dass wir Lehrpläne dahingehend ändern und einen stärkeren Fokus auf die deutsche Vergangenheit legen. Da kann man ruhig ein paar Abstriche beim Römischen Reich machen.
Wenn wir uns alle informieren, wenn wir uns alle der Vergangenheit unseres Landes bewusst sind, dann können wir dem Leugnen standhalten. Wir sind dies den Menschen, die den Holocaust miterlebt haben, schuldig. Das ist so wichtig, weil das Leugnen stärker wird und weil die letzten Zeitzeugen nach und nach versterben. Die Flamme der Erinnerung darf nicht mit ihnen verlöschen, wir müssen diese Flamme aufnehmen und auch an nächste Generationen weitergeben.
Wir alle sind gefordert, dem Leugnen des Holocaust entgegen zu treten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.