Erinnerung an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 in Plettenberg

Es ist 84 Jahre her. Aber es darf nie in Vergessenheit geraten. Damit es nie wieder passiert.

Passfoto von Hermann Lennhoff. (Bild: Stadtarchiv Plettenberg)

Frau und Tochter von Hermann Lennhoff, Kanada. (Bild: Stadtarchiv Plettenberg)

Hermann Lennhoff im November 1995. (Bild: Stadtarchiv Plettenberg)

Es ist 84 Jahre her. Aber es darf nie in Vergessenheit geraten. Damit es nie wieder passiert. Die Reichspogromnacht des 9. Novembers 1938.

Auch an Plettenberg ist diese verbrecherische Schreckensnacht nicht vorbeigegangen. Dazu Stadtarchivarin Martina Wittkopp-Beine:

Zufluchtsort England – Hermann Lennhoff und das Novemberpogrom 1938

Am 9. November 1938 wurden in Plettenberg jüdische Geschäfte zerstört. Jüdische Mitbürger wurden verhaftet. Dies geschah vor den Augen der Bevölkerung. Spätestens ab diesem Zeitpunkt, wenn nicht schon früher, konnte niemand mehr behaupten, er hätte von der menschenverachtenden Rassepolitik der Nationalsozialisten nichts gewusst.

Zu den Ereignissen in der Pogromnacht notierte Plettenbergs Bürgermeister Heinrich Brüggemann folgendes: „In der Nacht vom 9. zum 10. November des Jahres wurden die Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte in Plettenberg und außerdem zum großen Teil auch die Wohnungseinrichtungen der hier wohnenden Juden zerstört. Aufgrund der gegebenen Anordnung wurden dann am frühen Morgen des 10. November die in der anliegenden Liste aufgeführten männlichen Juden festgenommen“. Nüchtern und emotionslos hielt der Bürgermeister die Fakten über die radikale und grauenvolle Ausgrenzungspolitik und „Arisierungspolitik“ der Nazis fest.

Zwanzig jüdische Männer wurden am 10. November morgens 7.00 Uhr in „Schutzhaft“ genommen. Zunächst wurden die Festgenommenen in örtlichen Gefängnissen untergebracht bevor sie von der Gestapo in die Steinwache in Dortmund eingeliefert wurden. Von Dortmund erfolgte dann ihre Deportation in das in der Nähe von Berlin liegende Konzentrationslager Sachsenhausen. Vier der Inhaftierten blieb dieses Schicksal erspart. Alex Heilbronn, Adolf Sternberg, Louis Löwenthal und Max Sakom wurden noch am Tag ihrer Verhaftung aufgrund ihres hohen Alters (über 70 Jahre) und Krankheit nachmittags wieder entlassen. Die vier konnten in ihre Wohnungen zurückkehren.

Die anderen sechszehn Männer blieben in Haft und wurden einen Tag später am 11. November aus den örtlichen Gefängnissen abtransportiert. Einer von ihnen war der 31jährige Hermann Lennhoff. Seine Eltern waren der Viehhändler Isaak Lennhoff und seine Frau Franziska. Die Familie lebte und arbeitete in Plettenberg-Böddinghausen. Hermann Lennhoff trat in die Fußstapfen des Vaters und wurde ebenfalls Viehhändler. 1932 verstarb Isaak Lennhoff. Vermutlich führte sein Sohn das Viehhandelsgeschäft zunächst weiter. Schließlich wurde das Geschäft aufgegeben. Im November 1936 verließ die Familie Böddinghausen. Hermann Lennhoff, seine Mutter und seine Schwester Hedwig zogen in die Stadt: Fortan wohnten sie in einer Zweizimmer-Wohnung im Haus des Metzgers Julius Lennhoff in der Steinbrinkstraße. Der Umzug in die Stadt dürfte auch das Aus des Viehhandelsgeschäfts in Böddinghausen bedeutet haben. Finanzielle Einkommensverluste waren die Folge. Schließlich waren die Lennhoffs auf Unterstützung angewiesen. Ein jüdischer Verein bezahlte die Wohnungsmiete und die in Hamburg lebende Sara Anna Lennhoff, eine Tochter aus der ersten Ehe des Issak Lennhoff, bestritt den sonstigen Unterhalt.

In dieser schon bedrückenden Lebenssituation dürfte die Pogromnacht wie ein Fanal, wie ein bedrohliches Leuchtfeuer gewirkt haben.

Hermann Lennhoff kehrte nach seiner Inhaftierung, physischer und psychischer Erniedrigung im Konzentrationslager Sachsenhausen nach Plettenberg zurück. Kaum in Plettenberg angekommen kümmerte er sich sofort um seine Auswanderung. Schon im KZ Sachsenhausen wurde auf die jüdischen Männer massiver Druck ausgeübt, mit dem Ziel, sie zur Auswanderung zu zwingen. Hermann Lennhoff stellte am 22.12.1938 einen Ausreiseantrag mit Ziel Uruguay. Dort wolle er, so schrieb er in seinem Antrag, in der Weidewirtschaft arbeiten, eine Arbeit, die er schon in Böddinghausen gemacht hatte. Hermann Lennhoff bat um eine schnelle Genehmigung seines Antrags, da er beabsichtigte, schon am 31.12.1938 Deutschland zu verlassen. Einen Platz auf einem Schiff hatte er belegt.

Zu einer Ausreise nach Uruguay ist es dann jedoch nicht gekommen. Genaue Gründe wissen wir leider nicht. Hermann Lennhoff gab trotz dieses Rückschlags nicht auf. Ende Juli 1939 zeichnete sich für ihn die Möglichkeit ab, nach England auswandern zu können. Und nur einen Monat später, am 28.8.1939, verließ Hermann Lennhoff Deutschland in Richtung England. Ziel war das Kitchener Camp in Richborough. Kitchener Camp war ein ehemaliges britisches Armeelager aus dem Ersten Weltkrieg. Es lag nahe den Orten Richborough und Sandwich im Nordosten der englischen Grafschaft Kent. Von Februar 1939 bis Mitte 1940 wurde es als Durchgangslager für jüdische Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich genutzt. Die Wiederinbetriebnahme des ehemaligen Armeelagers Anfang 1939 war ein Resultat der innerbritischen Auseinandersetzungen darüber, wie den verfolgten Juden in Deutschland geholfen werden könne. Die Aufnahme in das Lager bedeutete jedoch keinen dauerhaften Aufenthalt in England. Die Lagerinsassen sollten möglichst bald nach Australien, in die USA oder andere Länder auswandern.

Über das Leben von Hermann Lennhoff im Kitchener Camp wissen wir nichts. Dass er dort aufgenommen wurde, steht jedoch fest. Sein Name steht auf einer Liste, auf der die Personen aufgeführt wurden, die im Durchgangslager eine Zeit lang gelebt haben. Wie lange er dann dort gelebt hat, ob er wie andere Kitchener-Insassen in der Britischen Armee eingesetzt wurde, ob er nach Schließung des Lagers noch in ein anderes Internierungslager verbracht oder im Juli 1940 nach Australien gebracht wurde, bleibt ungeklärt.

Mit seiner Auswanderung nach England hatte Hermann Lennhoff im Kitchener Camp einen ersten Zufluchtsort gefunden. Und glücklicherweise gelang es ihm, anschließend nach Kanada auszuwandern und somit den Holocaust zu überleben.

Für seine Mutter und seine Schwester, mit denen er zuletzt in Plettenberg zusammengelebt hatte, gab es keinen Zufluchtsort und kein Entrinnen vor dem Holocaust mehr. Sie mussten im Februar 1942 Plettenberg in Richtung Altena verlassen, wo sie in einem Wohnhaus in der Thomeestraße untergebracht wurden. Zwei Monate später wurde Hedwig Lennhoff von Dortmund aus in das Ghetto nach Zamosc verbracht. Ihre Mutter Franziska Lennhoff wurde am 29.7.1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie nur ein paar Tage später am 5.8.1942 verstarb.

Wir haben uns die Geschichten von Hermann, Franziska und Hedwig Lennhoff kurz vergegenwärtigt. Wir tun dies im Bewusstsein unserer Verantwortung vor der Geschichte. Wir tun dies aber auch deshalb, um in Zukunft vor jeglicher Form von Rassismus gewappnet zu sein. Heute sind wieder vermehrt antisemitische Vorfälle in Deutschland zu beklagen. Diese Angriffe auf unser gesellschaftliches Miteinander gefährden das friedliche Zusammenleben in unserer Demokratie. Von daher ist es umso wichtiger, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus zu bekämpfen und sich stattdessen für Begegnung, Austausch und Verständigung einzusetzen und diese zu fördern.“

Soweit unsere Stadtarchivarin Martina Wittkopp-Beine.

Es folgt, in Gedenken, die Liste der der im Zuge der Pogromnacht 1938 festgenommenen jüdischen Männer:

        Name

Wohnort

Geburtsdatum

Beruf

 

Bachrach, Julius

Plettenberg, Adolf-Hitler-Str.

16.7.1879

Kaufmann

Verheiratet

Cohn, Lothar

Werl, Steingraben 10 z.Zt. Plettenberg

23.8.1917

Arbeiter

Ledig

Glaß, Paul

Dortmund, Stiftstr. 2 z.Zt. Plettenberg

24.2.1910

Angestellter

Ledig

Heilbronn, Alex

Plettenberg, Graf-Dietrich-Str.

9.3.1868

Metzger

Verheiratet

Heilbronn, Egon

Plettenberg, Graf-Dietrich-Str.

14.3.1899

Metzger

Verheiratet

Heldenmuth, Alfred

Plettenberg, Scharnhorststr. 6

27.5.1894

Viehhändler

Verheiratet

Hesse, Leo

Plettenberg, Graf-Dietrich-Str.

1.5.1887

Viehhändler

Verheiratet

Lennhoff, Heinz

Plettenberg, Steinbrinkstr.

19.9.1921

Metzgerlehrling

Ledig

Lennhoff, Hermann

Plettenberg, Steinbrinkstr. 1

17.6.1907

Händler

Ledig

Lennhoff, Julius

Plettenberg, Steinbrinkstr.

2.6.1884

Metzger

Verheiratet

Lennhoff, Sally

Eiringhausen, Provinzialstr.

13.6.1892

Fabrikarbeiter

Verheiratet

Loewenthal, Eugen

Plettenberg, Adolf-Hitler-Str.

28.7.1896

Kaufmann

Verheiratet

Marx, Günther

Köln, Gottesweg 116 z.Zt. Plettenberg

14.4.1921

Schlosser

Ledig

Loewenthal, Louis

Plettenberg, Adolf-Hitler-Str.

12.03.1864

Kaufmann

Verheiratet

Neufeld, Hugo

Plettenberg, Adolf-Hitler-Str.

3.9.1884

Kaufmann

Verheiratet

Nußbaum, Max

Plettenberg, Adolf-Hitler-Str. 19

2.5.1896

Vertreter

Vereiratet

Sakom, Max

Plettenberg, Bahnhofstr.

4.1.1880

Dipl. Ing.

Verheiratet

Sternberg, Adolf

Plettenberg, Grafweg 14

27.10.1868

Fabrikant

Verheiratet

Sternberg, Erich

Plettenberg, Adolf-Hitler-Str. 19

20.5.1907

Kaufmann

Ledig

Sternberg, Herbert

Plettenberg, Grafweg 14

23.1.1913

Ingenieur

Ledig