Das Leben ist strahlt ist hell und leuchtet! Doch plötzlich ziehen dunkle Wolken auf oder es kracht und donnert sogar sofort. Vielleicht ist das Leben aber auch immer hinter einem grauen Schleier verborgen oder gänzlich trüb.
In jedem Fall sieht das Leben für jeden Menschen anders aus und wenn es nicht gut aussieht, brauchen wir Hilfe. Ob uns das bewusst ist, oder nicht. Ob es eben noch anders war, oder nicht.
Um Menschen mit diesen psychischen Herausforderungen möchte sich das Gesundheits- und Pflegenetzwerk Plettenberg-Herscheid kümmern und hat an diesem Mittwoch einen Infoabend im Ratssaal des Plettenberger Rathauses veranstaltet.
Unter dem Oberthema „Psychische Beeinträchtigungen“ wurden neben den Hintergründen Gruppengespräche mit den Anbietenden von psychosozialer Versorgung geführt, der neue Wegweiser „psychosoziale Hilfen“ vorgestellt und es war ein Vortrag über die Herausforderungen bei der psychosozialen Versorgung auf kommunaler Ebene zu hören. Abgerundet wurde der Abend durch Infostände und Interviews mit Gesundheitsbegleiterinnen.
Aber was bedeutet eigentlich „psychisch krank“? Die Experten sagen, dass es dafür keine Definition gibt. Einfach ausgedrückt: Wenn unser Verhalten gestört ist, abweicht, dysfunktional und vor allem für uns belastend ist, könnte eine psychische Störung oder Belastung vorliegen.
Das betrifft nur die wenigsten Menschen? Nein. Jede dritte Person in unserer Gesellschaft erfährt mindestens einmal im Leben eine psychische Belastung, Erkrankung oder Störung. Ein Drittel von uns allen! Es sind auch nicht immer die oft als typische Erkrankung angesehenen Depressionen. Abgesehen davon, dass es „die“ Depression gar nicht gibt, sondern verschiedenste Ausprägungen existieren.
Zwangsstörungen, psychische Veränderungen durch Alkohol- und Substanzmissbrauch, Essstörungen, bipolare oder psychotische Störungen, Ängste, posttraumatische Belastungsstörungen, um nur einige zu nennen. Zumeist sind Wahrnehmung, Denken, Fühlen oder soziale Beziehungen gestört, was Auslöser oder Verstärker sein können.
Gibt es Erkrankte, gibt es auch immer ein Umfeld. Alle Beteiligten sind in diesem Sinne Betroffene. Die einen benötigen Hilfe, die anderen möchten helfen. Wie die individuelle Lage einzuordnen ist, wie Hilfe angenommen oder gegeben werden kann und wo es überhaupt Hilfsangebote gibt, finden Betroffene im neuen Wegweiser „Psychosoziale Hilfen“ des Gesundheits- und Pflegenetzwerks Plettenberg-Herscheid. Darunter auch spezialisierte Angebote und Hilfestellungen, zum Beispiel für Kinder und Jugendliche.
Die Besuchenden des Infoabends konnten sich in diesen Dingen direkt informieren. Im Gruppengespräch mit Ingrid Kruppa (Ambulanz und Tagesklinik Plettenberg, LWL-Klinik Hemer), Martin Boncek (Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Plettenberg) und Matthias Kortwittenborg (Sozialpsychiatrischer Dienst des Märkischen Kreises) gaben interessante Einblicke in den Bereich der psychosozialen Versorgung. Eine klare Erkenntnis aus diesem Gespräch ist, dass die Zahl der Therapeuten sinkt, die der Hilfesuchenden allerdings steigt. Auch die Frage nach Hilfe-Hotlines und dem richtigen Handeln im psychosozialen Notfall konnte geklärt werden.
Auch hier kann der Wegweiser „Psychosoziale Hilfen“ vertiefend informieren. Über Grundlagen, Hilfen für Kinder und Jugendliche, für Erwachsen über eine große Kontaktliste, Wohnformen und Rechtsfragen, bis zum Krisendienst.
Es folgte der Vortrag von der ambulanten Case-Managerin Melanie Schlüter (Psychiatrische Institutsambulanz der LWL-Klinik Hemer). Sie stellte die Herausforderungen der psychosozialen Versorgung auf kommunaler Ebene vor. „Wenn man es sich genauer ansieht, muss man feststellen, dass das System nicht funktioniert.“ Mit diesem Zitat aus ihrer fast Jahrzehnte alten Abschlussarbeit begann ihr Vortrag. Nachdem Melanie Schlüter ihren Werdegang und die täglichen Aufgaben in den Bereichen Gerontologie, Betreuung und Pflege geschildert hatte, ging es ans Eingemachte.
Die größten Schwierigkeiten kämen durch (Fach-)Ärztemangel, lange Wartezeiten, Hausärzte diagnostizieren genauer (was sehr gut ist, aber für mehr Fälle sorgt) und durch mehr Fälle gibt es auch ein Zeitproblem bei Betreuung und Behandlung. Zudem würde zu oft unnötig in Kliniken eingewiesen, dann ins Nichts entlassen. Die Dokumentationsberge, selbst mit angehender Digitalisierung, seien eine Mammutaufgabe.
Ihre Aufgabe als Case-Managerin kann in diesen Fällen helfen, aber allein auf weiter Flur klappt das natürlich nicht. Daher versucht Melanie Schlüter ein Netzwerk auf- und auszubauen. Natürlich müssen dafür aber auch die finanziellen und personellen Mittel vorhanden sein. Die Zukunft der Pflege sei ihrer Meinung nach aufgrund des Fachkräftemangels beispielsweise nicht gesichert. Eine Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen nehme ab, aber noch nicht weit genug. Hilfe zu suchen und anzunehmen sei keine Schande, betonte Melanie Schlüter und das Publikum pflichtete ihr bei.
Die Lösungsansätze sind klar und wahrscheinlich schon oft gehört: Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen auf Augenhöhe, Wartezeiten verkürzen, schneller helfen, Arbeitsbedingungen optimieren und attraktiver gestalten. Abschließend gab Case-Managerin Melanie Schlüter noch Tipps zu Unterstützungsangeboten.
Der letzte Punkt des Abends waren Interviews mit Genesungsbegleiterin Manuela Heikel und Genesungsbegleiter Steffen Hartmann, beide von der LWL-Klinik Hemer. Manuela Heikel stellte fest: Es gibt keine Stellenbeschreibung für Genesungsbegleitende. Beide haben ihre persönlichen Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen. Privat, als auch beruflich. Steffen Hartmann hat in einer Maßnahme mit Patienten gegärtnert.
Heikel und Hartmann haben dann Lehrgänge besucht, wurden Genesungsbegleitende. Die persönlichen Erfahrungen der beiden helfen ihnen enorm im Umgang mit Menschen, denen sie beim Heilungsprozess helfen. „Man muss Abstand zu den Patienten haben, aber trotzdem nah sein.“, bringt Steffen Hartmann seine Arbeit auf eine Formel. „Die Patienten öffnen sich bei uns mehr, als bei professionell Ausgebildeten.“, ergänzt Manuela Heikel. Gruppenarbeiten, persönliche Treffen, das Schärfen der Sinne für das „kleine Glück“ - verdeutlichen, dass die Krankheit nur ein ganz kleiner Teil eines Menschen sei, das wäre Kern der Arbeit. Durch ihre Arbeit heile sie auch selbst Stück für Stück. Bei Steffen Hartmann kann es mit den Patienten auch schon mal Kegeln, Boccia oder Kochen sein, um einen Genesungsprozess zu fördern.
Da wunderte es das Publikum schon, dass der Lehrgang zu Genesungsbegleitenden für die beiden nur nach einem großen Kampf möglich war. Sie mussten sehr beharrlich sein, um eine Finanzierung für diese wichtige Ausbildung seitens der zuständigen Stellen zu bekommen. Zum Glück seien sie nun bei der LWL-Klinik angestellt. Der Weg zu dieser Ausbildung muss leichter sein, die Anerkennung als Ausbildungsberuf wäre ebenfalls ein wichtiger Schritt. Für die Zukunft wünschten Manuela Heikel und Steffen Hartmann sich, dass es mehr Genesungsbegleitende im Märkischen Kreis geben soll (es gäbe sonst nur noch drei im Kreis) und dass schneller Hilfe für Betroffene da sein muss. Es müsse überall mehr Personal her, wobei Genesungsbegleitende direkt als Erste Menschen auffangen könnten. Erneut gab es großen Applaus an diesem Abend.
Am Ende verabschiedete Dr. Vera Gerling (GER-ON Fröndenberg) die Besuchenden, sie hatte mit viel Hintergrundwissen und sehr sympathisch durch den gesamten Abend geführt. Zu danken ist an dieser Stelle auch den Organisatorinnen dieses Abends, vom Gesundheits- und Pflegenetzwerk Plettenberg-Herscheid, namentlich: Meryem Yilmaz und Barbara Sauerland (Gemeinde Herscheid), sowie Katja Gerecht (Stadt Plettenberg).
Übrigens: Den neuen Wegweiser „Psychosoziale Hilfen“ bekommen Sie in den Rathäusern der Gemeinde Herscheid und der Stadt Plettenberg. Er soll auch noch verteilt werden und derzeit wird eine interaktive PDF-Version des Wegweisers erstellt. Mehr Infos zum Gesundheits- und Pflegenetzwerk Plettenberg-Herscheid gibt's hier!